Gemeinsam mit Myriam Hendrickx, Master Distillerin von Rutte und De Kuyper, tauchen wir in die Welt der Liköre und Spirituosen ein. Sie verrät, warum es so schwierig ist, natürliche Fruchtaromen einzufangen und wie sich hochwertige Liköre von künstlichen Produkten unterscheiden. Außerdem erfahren wir, welche ungewöhnlichen Zutaten sie in ihrer „geheimen Kammer“ für neue Kreationen verwendet.

Zucker und Zeste: Myriam, du bist als Master Distillerin von Rutte und De Kuyper eine Koryphäe auf dem Gebiet der Liköre. Uns interessiert brennend: Was macht deiner Meinung nach einen wirklich guten Likör aus?

Myriam Hendrickx: Zuallererst kommt es auf die Qualität der Zutaten an. Aber mindestens genauso wichtig ist das Handwerk, das Know-how, das über Generationen weitergegeben und verfeinert wurde. Nur so können wir die natürlichen Aromen auf schonende Weise extrahieren und zu einem harmonischen Ganzen komponieren.

Wir haben gerade verschiedene Fruchtliköre verkostet, darunter Wassermelone und Banane. Offen gestanden hat uns überrascht, wie anders die schmecken als das pure Fruchtfleisch. Warum ist es so schwierig, deren natürliches Aroma in Likören zu reproduzieren?

Myriam Hendrickx: Das Problem ist, dass manche Früchte wie Wassermelone oder Banane von Natur aus ein zartes, sehr filigranes Aroma haben. Wenn man sie destilliert, kommt nicht genug Geschmack rüber. Viele Leute sind an künstliche Aromen gewöhnt, die viel süßer und intensiver sind. Ein Likör, der nach frischer Banane schmeckt, würde die meisten nicht vom Hocker hauen, weil sie diesen Geschmack nicht gewohnt sind.

Das heißt, die Verbraucher haben eine verzerrte Erwartungshaltung?

Myriam Hendrickx: Genau. Wenn die Packung „Banane“ sagt, erwartet man diesen intensiven, bonbonartigen Geschmack, den man von Kindheit an gewohnt ist. Alles andere wird oft als fade oder unvollständig wahrgenommen, selbst wenn es viel näher am Original ist. Deshalb muss man als Brennmeister immer einen Kompromiss finden: Wie fange ich das natürliche Aroma ein, ohne dass es für den Konsumenten zu „echt“ und damit befremdlich wird? Das ist jedoch nur bei bestimmten Geschmacksrichtungen wie Banane der Fall. 

Bei vielen unserer anderen Liköre gibt es dieses Problem nicht. Liköre mit Orangen und Zitronen zum Beispiel, wie Triple Sec, sind voller ursprünglicher und natürlicher Aromen, die aus pflanzlichen Stoffen in unserer eigenen Brennerei hergestellt werden. Das Gleiche gilt für Liköre wie Creme de Café* oder Cacao*. Das Destillat aus echtem Kakao, das wir in Schiedam herstellen, ist einer meiner Favoriten. Da muss man keine Kompromisse eingehen.

Wie gehst du mit dieser Herausforderung um?

Myriam Hendrickx: Oft hilft es, die Frucht durch ergänzende Zutaten zu unterstützen, die ihre charakteristischen Eigenschaften unterstreichen. Beim Bananenlikör könnte das zum Beispiel eine Spur Vanille sein, die die süßlich-aromatischen Noten verstärkt, ohne künstlich zu wirken. Auch die Kombination mit anderen Früchten oder Kräutern kann spannende Effekte erzielen. Da ist viel Kreativität und Experimentierfreude gefragt.

Wie unterscheiden sich denn natürliche von künstlichen Aromen in der Spirituosenindustrie?

Myriam Hendrickx: Die Aromaproduktion nutzt Hightech-Methoden, um einzelne Aromakomponenten zu isolieren. So können sie zum Beispiel das Vanillearoma aus verschiedenen Quellen gewinnen, etwa Vanilleschoten, Holz oder sogar Nelken. In der traditionellen Likörherstellung arbeiten wir dagegen mit natürlichen, komplexeren Aromen. Wir bei DeKuyper destillieren die Zutaten als Ganzes, sodass alle Aromakomponenten erhalten bleiben. Das macht den Geschmack vielschichtiger, aber manchmal auch schwieriger zu kontrollieren.

Ein gutes Beispiel für so einen vielschichtigen Likör ist euer Kirschlikör Heering. Wir hatten den neulich in einer Blindverkostung, und die Bewertungen gingen bei uns beiden sehr weit auseinander. Christoph fand ihn top, ich eher nicht so. Woran liegt das?

Myriam Hendrickx: Heering ist in der Tat ein hochkomplexer Likör mit einer langen Geschichte. Im Gegensatz zu vielen modernen Kirschlikören geht es hier nicht darum, ein möglichst intensives, süßes Kirscharoma zu liefern. Stattdessen will man die ganze Bandbreite der Frucht einfangen, von den süßen, saftigen Noten bis hin zu den herben, fast bitteren Untertönen, die von den Kernen und der Schale kommen. Dazu kommen noch Gewürze und die Einflüsse von Fasslagerung und Reifung. Diese Vielschichtigkeit macht den Reiz aus, ist aber natürlich auch eine Herausforderung für ungeübte Gaumen.

Wie meinst du das?

Myriam Hendrickx: Wenn man an einen „typischen“ Kirschlikör gewöhnt ist, erwartet man einen sehr eindimensionalen, süßen Geschmack. Heering bietet dagegen ein ganzes Spektrum von Aromen, das sich erst nach und nach erschließt. War eure Flasche schon länger geöffnet, als ihr den Likör probiert habt?

Das wissen wir nicht mehr genau. Warum?

Myriam Hendrickx: Ein Likör mit echten, natürlichen Früchten wie Kirschen oder Beeren verändert sich mit der Zeit. Bei anderen Likören ist das übrigens nicht der Fall. Oxidations- und Reifeprozesse lassen neue Aromen entstehen, während andere in den Hintergrund treten. Das ist keine schlechte Sache. Es ist ein bisschen wie ein roter Portwein, der sich in einen Tawny Port verwandelt. Aber wenn man den frischen Kirschgeschmack beurteilen will, sollte man lieber eine „frische Flasche“ nehmen, um ein unverfälschtes Bild zu bekommen.

Apropos Reifung: Wie groß sind eigentlich die Unterschiede zwischen eurer Rezeptur von Heering und der ursprünglichen dänischen Rezeptur?

Myriam Hendrickx: Als wir die Marke übernommen haben, war uns wichtig, den Charakter der Liköre zu erhalten. Wir haben uns die Originalrezepte genau angeschaut und versucht, sie so originalgetreu wie möglich nachzubauen. Aber man kann so ein Rezept nicht einfach 1:1 übernehmen, selbst wenn die Zutatenliste identisch ist. Die Qualität der Zutaten, die genauen Verarbeitungsschritte, die Destillations- und Lagerungsmethoden – all das hat einen großen Einfluss auf das Endergebnis. Wir mussten schon einiges anpassen und justieren, bis wir mit dem Ergebnis zufrieden waren.

Verrätst du uns, mit welchen ungewöhnlichen Zutaten du gerne experimentierst, um neue Aromen zu kreieren?

Myriam Hendrickx: In meiner „geheimen Kammer“ probiere ich gerne Sachen aus, die man normalerweise nicht in Likören findet. Zum Beispiel Rhabarber, der wegen seiner Bitterkeit eigentlich eher unbeliebt ist. Oder Johannisbeeren, die ein sehr blumiges Aroma haben. Auch Johannisbrot ist eine spannende Zutat, die in italienischen Bitterlikören verwendet wird. Wenn ich damit experimentiere, kommen mir oft Ideen, die ich später in Rezepturen einbauen kann.

Myriam, vielen Dank für das spannende Gespräch und die Einblicke hinter die Kulissen der Likörherstellung!

Letzte Aktualisierung am 3.05.2024 / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API