Auch wenn Gin in den letzten Jahren einen unglaublichen Hype erlebte – seine Geschichte ist lang und tief in Europa verwurzelt. Nicht nur im britischen Königshaus, wo Gerüchten zufolge der Gin Dubonnet besonders hoch im Kurs steht. Auch in den Niederlanden haben Wacholderschnäpse eine lange Geschichte. Geprägt wurde sie unter anderem von der Brennerei Rutte im niederländischen Dordrecht nahe Rotterdam. Gegründet im Jahr 1872 feiert sie 2022 ihr 150-jähriges Bestehen. Darauf erst einmal: Cheers!

150 Jahre sind eine lange Zeit, in der einiges passiert ist, was eine kleine Spirituosen-Firma aus der Bahn werfen kann: Zwei Weltkriege fegten durch Europa, mehrere Wirtschaftskrisen, eine Pandemie, die Digitalisierung, alkoholfreier Gin. Und Rutte? Steht heute selbstbewusster da als je zuvor. Das liegt auch an Myriam Hendrickx, Master Distillerin und kreativer Kopf der Brennerei. Im Gespräch mit uns spricht sie über die Werte ihres Unternehmens, Drink-Trends der vergangenen Jahrzehnte, warum sie den Namen des mittlerweile legendären Celery Gin pünktlich zum Jubiläum abgeändert hat und was sie gerne einmal brennen würde.

Hallo Myriam, Rutte gibt es seit 150 Jahren. Viele Dinge haben sich in der Spirituosen-Welt verändert, einiges ist aber auch gleich geblieben. Was denkst du: Über welche Neuheit von heute hätten sich deine Vorgänger vor 100 Jahren am meisten gefreut?

Ich denke, sie hätten sich gefreut, dass Gin wieder in Mode gekommen ist und dass wir ihre „geheime“ Zutat, das Sellerieblatt, zur Herstellung eines modernen Gins verwendet haben.

Um als Unternehmen so lange zu bestehen muss man sich immer wieder anpassen, ohne seine Werte zu verraten. Für welche Werte steht Rutte?

Ursprüngliche Handwerkskunst und Botanical-Destillation: also 100% natürlich, kleine Chargen, alles von Hand gemacht, Wissen über Botanicals und wie man perfekte Harmonie innerhalb eines Rezepts schafft. Aber vor allem: kreativ sein. Ungewöhnliche Zutaten zu verwenden, denn wer destilliert schon Sellerieblätter oder geröstete Haselnüsse? Es ist typisch für Rutte, dass wir über den Tellerrand hinausschauen und eine tiefe Liebe zu Pflanzen und der Natur haben, um herauszufinden, was und wie wir es verwenden können.

Auf welche Innovation oder welches Produkt aus eurem Haus bist du besonders stolz?

Ich liebe natürlich unseren neuen Dutch Dry Gin, aber wir machen noch viel mehr. Vor ein paar Jahren fand ich in einem unserer alten handgeschriebenen Bücher ein Rezept für einen Old Tom Gin, datiert auf den 24.4.1918! Ich habe es nachgebaut und 7% Malzbrand hinzugefügt. Old Tom Gin als Kategorie war eine Brücke zwischen Genever und Dry Gin. Das wollte ich mit dem Malzbrand unterstreichen. Er ist jetzt ein Hybrid; er schmeckt wie Gin und wie Genever. Er heißt Rutte Old Tom Genever.

In der Barwelt verbinden Euch viele mit dem Celery Gin. Dem habt ihr vor kurzem ein Makeover unterzogen. Kannst du da etwas ins Detail gehen, warum ihr den Look und Namen angepasst habt?

Da er Celery Gin hieß, erwarteten die Leute, dass Salat-Sellerie, also die Stangen, verarbeitet sind. Das ist aber eine ganz andere Pflanze. Wir verwenden eine Pflanze, die nur Blätter hat, keine Stangen, und der Geschmack ist unverwechselbar, herzhafter und umami. Bei Stangensellerie gibt es Liebhaber und Hasser. Die Hasser wollten unseren Gin nicht. Schade, denn er schmeckt nicht so, wie sie dachten. Die Liebhaber erwarteten ein Salaterlebnis, was auch nicht der Fall war.
Da wir also den Namen ändern wollten, haben wir uns alles genau angesehen. Die Flasche war eine klassische holländische Genever-Flasche; schön, aber sie sah nicht wie ein Gin aus. Und dann das Rezept: Wir haben die getrockneten Orangenschalen durch frische Schalen ersetzt und beschlossen, nur noch biologisch angebaute Pflanzen zu verwenden – das ist besser für den Planeten.

Du bist Master-Distillerin bei Rutte. Welches Produkt ist dein Liebling in all den Jahren und warum?

Ich liebe den Old Simon Genever, da es sich um ein sehr altes Rezept handelt, das unser Erbe und unsere Kreativität ehrt. Ich mag auch den Rutte Koornwyn XO. Er ist in Deutschland nicht erhältlich, aber Rutte stellt viele fassgereifte Genever her, die ähnlich wie Whisky schmecken. Den Koornwyn XO habe ich selbst kreiert. Man mag ja immer seine eigenen Kinder 🙂

DeKuyper Rutte Old Simon Genever (1 x 0.7 l) Gin (1 x 700)
  • Farbe: Kristallklar
  • Aroma: Wacholder, brasilianische Nüsse, Pinien, gedörrter Apfel, Rosmarin, Zimt, Schwarzbrot

Welches Produkt würdest du sehr gerne einmal herstellen, welches jedoch nicht ins Konzept von Rutte passt?

Da wir Destillateure von Botanicals sind, passt vieles in unser Konzept: Liköre, Bitter, Aquavit usw., und wir stellen all diese Produkte her bzw. haben sie hergestellt. Was wir nicht machen, ist das Fermentieren. Das wäre also eine Herausforderung. Ich persönlich würde gerne einen Rum herstellen …

150 Jahre Rutte, das sind viele Trinkmoden. Was ist dein Lieblings-Klassik-Gindrink, der schon in den 30er und 40er getrunken wurde?

Mein Favorit ist der Martinez, der Vater des Dry Martini. Er ist ein bisschen süßer, was ich mag. Natürlich ist unser Gin eine großartige Zutat dafür, aber auch der Genever, der eine ganz andere Wirkung hat.

Die 80er und 90er waren die Zeit von Tom Cruise, Show-Bartendern und Schirmchen im Glas. Welcher Drink aus dieser Zeit ist aus deiner Sicht unterbewertet?

Ich stehe nicht so auf übermäßig süße Cocktails. Wenn ich einen nennen soll, dann ist es Between the sheets. Der ist schon viel älter, war aber in den Achtzigern auch beliebt, wegen des Namens.

Nun ein Blick in die Moderne: Welcher zeitgenössische Drink – außer der Gin Basil Smash – ist dein aktueller Liebling?

Das ist eine gute Frage, denn der Gin Basil Smash ist mein Favorit. Daneben mag ich Whisky Sour, aber den mache ich natürlich zu einem Genever Sour. Er passt hervorragend zum Koornwyn XO, den ich bereits erwähnt habe.

Blicken wir vielleicht nicht auf die nächsten 150 Jahre, aber die nächsten 15: Werden in Zukunft alle Rutte-Spirituosen in Bio-Qualität hergestellt? Welche Trends erwartest du?

Ich weiß nicht so recht. Ich würde gerne alles Bio machen, aber die Auswahl an Botanicals, auch mit Blick auf die Herkunftsländer, ist immer noch sehr gering. Das macht einen Unterschied im Geschmack. Ich denke, dass wir langfristig mehr auf lokale Zutaten setzen werden. Auch bei den Flaschen wird es wahrscheinlich eine Veränderung geben: weniger schweres Gewicht und mehr recycelbare Verschlüsse zum Beispiel.

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