Die Marke Rum Artesanal war einmal ein absoluter Geheimtipp unter Rum-Liebhabern. Doch diese Zeiten sind längst vorbei, spätestens mit der Veröffentlichung der legendären 1986er Rockley-Abfüllung in diesem Frühjahr hat sich die Marke aus Bad Bevensen in die erste Liga katapultiert. Neue Flaschen sind meist binnen Minuten ausverkauft. Dementsprechend braucht man viel Glück und eine gut geölte F5-Taste, um sich eine der begehrten Flaschen zu sichern.
Umso glücklicher waren Hendrik und ich, als wir ein Tasting-Kit der drei neuen Abfüllungen aus dem zweiten Quartal 2021 ergattern konnten. Auf dem Papier las sich das neue Trio bereits vielversprechend: Eine alte Fiji-Abfüllung, ein 31 Jahre alter Port Mourant und die erste Hampden-Abfüllung aus dem Jahr 1989. Am Donnerstagabend stellte Dominik Marwede, der Kopf hinter Rum-Artesanal, gemeinsam mit Dirk Becker aus dem Rum-Depot die neuen Flaschen vor. Das sind unsere Eindrücke.
Rum Artesanal Uitvlugt PM 1989-2021 (50,1% Fass #223, 329 Flaschen)
Wir sind Fans von Guyana-Rums, wie wir in diesem Beitrag bereits ausführlich erläutert haben. Dementsprechend groß war unsere Vorfreude, als wir den Namen “Uitvlugt” zusammen mit der Jahreszahl 1989 auf dem Etikett entdeckten. Ausgesprochen wird der Name übrigens Ütflacht, so die alte niederländische Aussprache. Heute würde man wohl eher Owt-Flut sagen, was frei übersetzt “Entschuldigung” bedeutet, aber in dem Fall der Nachname des Farmbesitzers war. Das aber nur als Trivia-Fakt nebenbei.
Der Rum verbrachte 31 Jahre im Fass und reifte vollständig kontinental, also nicht tropisch. Wie bei Guyana-Rums üblich ist er leicht mit Farbstoffen versetzt, wenn auch nicht so großzügig wie etwa bei den REVs der Enmore-Abfüllungen. Das Ergebnis kann man in Form einer wunderschönen Bernsteinfarbe im Glas bestaunen.
Die Angaben lassen zwei Dinge im Vorfeld vermuten: Uitvlugt wurde auf der Double Wooden Vat Still gebrannt, diese ist für leichte Kräuternoten bekannt. Die lange Lagerzeit lässt zudem ausgeprägte Holzaromen erwarten. Beide Erwartungen erfüllen sich jedoch nur bedingt: Ja, es gibt Kräuternoten, hier und da kommt verhalten etwas Eukalyptus durch. Vor allem aber dominieren hier Karamell, würziger Lebkuchen, Dörrfrüchte wie Pflaumen, die Guyana-typische Lakritze, ein wenig Leder. Die Holzigkeit ist präsent, alles andere wäre nach 31 Jahren im Fass auch überraschend. Aber sie ist nicht so übergriffig wie bei manch anderer Abfüllung dieses Kalibers. Dezent schimmert hier auch die elegante Säure durch, die wir bei alten Uitvlugt-Abfüllungen so mögen und die beim TRC noch mehr herausgestochen war.
Ein Teilnehmer des Tastings meinte die typische Bleistift-Note einiger Guyanas wiederzukennen, woraufhin Dominik Marwede zustimmte und ein wenig aus dem Nähkästchen plauderte: “Ende des Jahres wird etwas kommen, da denkt man, man sitzt in der Bleistiftfabrik – doch dazu in einem halben Jahr mehr”. Klingt so, als würde uns kurz vor Weihnachten eine weitere Spezialität aus Guyana erwarten. Wir schmieren schon einmal die F5-Taste.
Der Rum Artesanal Uitvlugt PM 1989-2021 wurde übrigens erst vor etwa anderthalb Wochen abgefüllt, wie Dominik Marwede im Tasting erklärte. Nach drei Jahrzehnten kontinentaler Reifung in Liverpool und einer abschließenden Fahrt im LKW, wo das Fass vermutlich noch einmal ordentlich durchgeschüttelt wurde, ließ man den Rum zunächst etwas setzen. Dann wurde er leicht filtriert und mit 50,1 Volumenprozent abgefüllt. Dabei wurde die Trinkstärke nicht heruntergesetzt.
Die 50,1 % machen diesen Rum unglaublich süffig. Von den drei neuen Abfüllungen hat diese definitiv die höchste Drinkability. Das macht Spaß und ist ein guter Einstieg in das Tasting gewesen.
Und doch wurden unsere Erwartungen für rund 230 Euro (was angesichts des Alters ein fairer Preis ist) nicht ganz erfüllt: Der Guyana Single Cask Rum 1997 Uitvlugt 23 Jahre von The Rum Cask (abgefüllt mit 54%) hat uns zuletzt mehr fasziniert. Das mag am jüngeren Alter liegen. Doch der mit 32 Jahren minimal ältere The Rum Cask 1988 Guyana Single Cask Pot Still Rum Enmore MEC) ist ebenfalls nicht zu holzig, aber deutlich würziger. Am Ende mag es aber Geschmacksache sein, welchem Mark man dem Vorzug gibt. Auf jeden Fall ist Marwede und seinem Team ein Wurf gelungen, ein solch altes Fass nach den legendären Silver Seals herauszubringen.
Rum Artesanal Fiji 2001-2021 (62,8%, Fass #2, 281 Flaschen)
Als nächstes folgt dieser Rum aus Fiji. Das Land steht im Schatten der großen Rum-Nationen – dieser Rum zeigt, dass dies zu Unrecht der Fall. Mehr über Rum aus Fiji erklären wir euch demnächst in einem ausführlichen Artikel.
Es handelt sich bei dieser Abfüllung um ein Single Pot Still Destillat von den Fiji-Inseln, welches – so schätzt es Dominik Marwede – zehn Jahre dort gelagert hat. Offizielle Aufzeichnungen scheinen jedoch nicht zu existieren. Es gibt auch keine Informationen zur Esteranzahl, worauf man wiederum auf die Fermentation schließen könnte. Fiji scheint eine Art Blackbox zu sein. Aber das macht es ja auch spannend.
Mit einem blassen Gold-Farbton ist dieser Rum deutlich heller als der Guyana, was für ein ungefärbtes Destillat spricht. In der Nase ist verglichen mit dem Port Mourant allerdings deutlich mehr los: Man riecht Räucherschinken, würzigen Wacholder, Klebstoffnoten, Ananas und Vanilleschote, aber auch eine subtile Note von Erdbeersahnebonbons schwingt im Hintergrund mit. Oha! Ein wilder Mix, der Abenteuer verspricht, einem aber nicht gleich die Nasennebenhöhlen wegbrutzelt.
Im Mund ist dieser Rum kraftvoll. Hier kommt viel zusammen, was zusammengehört: Pfeffer und tropische Früchte, leichte Bitternoten und kandierter Zucker, Rauch und Gewürze, etwas Vanille. Dieser Rum ist wie ein Mann Anfang Zwanzig, der die leichtsinnigen Jugendjahre hinter sich hat, aber noch kein ruhiges, spießiges Leben führen will. Der noch im Bulli auf Festivals fährt, aber ansonsten lieber mit Freunden abends genüsslich eine Flasche verkostet.
Das ist definitiv meine Überraschung des Trios gewesen. Ein toller Rum, auf den Punkt mit einem unglaublichen Preis-Leistungs-Verhältnis. 20 Jahre Reifung in Fassstärke für knapp 70 Euro, das findet man selten. Ich wollte diese Flasche sofort haben und wurde in einem Online-Shop fündig, doch er wurde mir in letzter Sekunde aus dem Warenkorb weggeschnappt. Kein Wunder, dass bei diesem Rum, von dem nur 281 Flaschen abgefüllt wurden, die Ellenbogen ausgefahren werden. Möge der neue Besitzer viel Freude damit haben.
Was im Namen übrigens auffällt ist die Fassnummer 2. Auch hierfür hat Dominik Marwede eine Erklärung. Bislang übernahm man die Fassnummern der Anbieter. 2013 startete man in Bad Bevensen jedoch damit, Fässer aufzukaufen und gegebenenfalls nachreifen zu lassen. Dieses Fass war das zweite in der hauseigenen Sammlung, reifte also seit 2013 im Lager in der Nähe von Hamburg. Ab sofort werde man die eigenen Fassnummern auf die Etiketten packen. Mittlerweile sei man übrigens ungefähr bei Fassnummer 250 – da kommt also noch einiges in den kommenden Jahren auf uns zu. Vermutlich war das auch nicht das letzte Fass aus Fiji. Einmal Mäuschen spielen im Rum-Artesanal-Lager, das wäre was …
Rum Artesanal Hampden 1989-2021 (67,6% Fass #211, 179 Flaschen, HGML)
HD – es braucht nur diese zwei Initialen, um die Rum-Welt in Aufregung zu versetzen. Dahinter verbirgt sich die Hampden Distillery. Und dieses Fass hatte wohl keiner auf dem Schirm: Ein 1989er Hampden, in Fassstärke mit 67,6 Prozent in die Flasche gebracht. Man merkt bei der Vorstellung förmlich, wie Dominik Marwede beinahe vor Stolz platzt, während er die Key Facts erzählt.
Der Rum reifte zu 100 Prozent kontinental. Das überrascht nicht. Ende der 80er kam niemand in der Karibik auf die Idee, seinen Rum so zu lagern, mit Ausnahme vielleicht von Appleton. Stattdessen wurden die weißen Rums verschifft, etwa nach Großbritannien.
Das offiziell angegebene Mark ist HGML. Das Mark beschreibt vereinfacht gesagt den Estergehalt, die Einheit sind Gramm pro Hektoliter puren Alkohol. In diesem Fall liegt der zwischen den beiden Abstufungen: Der Rum Artesanal Hampden 89 ist entweder ein sehr starker HGML oder ein sehr schwacher DOK. “Auf jeden Fall ist es ein Hochester mit absolut Vollgas”, so Marwede. Na dann: Vollgas!
Schon in der Nase ist ordentlich Rambazamba. Die typische Mischung aus überreifem Obstgroßhandel, Farbresten und Rauch steigt aus dem Glas auf. Ich bin zugegeben kein Fan dieser extrem esterhaltigen Rums, verstehe jedoch den Hype – und bekanntlich gibt es für alles Liebhaber. Doch die Welt der DOKs ist nicht meine. Ich bin nach der Geruchsprobe verhalten skeptisch – und hätte nicht falscher liegen können.
Der Hampden 89 ist der wohl beste Jamaikaner, den ich bislang probiert habe. Dieser Rum brennt kein bisschen, was angesichts von 67,6 Prozent bemerkenswert ist. Die Ester sind präsent, aber erdrücken einen nicht. Man schmeckt wieder tropische, kandierte Früchte, leichte Röstaromen, ein wenig Mineralisches. Aber alles ist extrem rund und gut eingebunden. Was für eine Aromen-Power dieser Rum hat, merkte ich am Tag nach dem Tasting: Ich habe das leergetrunkene Glas abends einfach neben die Spüle geräumt, doch die ein bis zwei Tropfen darin haben genügt, das Aroma bis zum nächsten Morgen zu entfalten. Wow.
Dieser Rum ist auf seinem Zenit und zur richtigen Zeit abgefüllt wurden. Viel länger hätte er nicht ruhen dürfen, dann wäre er vermutlich gekippt. Von dieser Abfüllung existieren gerade einmal 180 Flaschen, und auch die dürften in den Online-Shops der Republik nicht älter werden als wenige Minuten – trotz des stattlichen Preises von 400 Euro für 0,5 Liter. Doch wer sich mit Hampden-Abfüllungen auskennt, der weiß, dass dies angesichts der Rarität ein sehr guter Preis ist. Womöglich existiert noch ein zweites Fass, aber zeitnah ist nicht mit so einer Abfüllung zu rechnen.
Ich kann mir vorstellen, dass dieser Rum einen ausgezeichneten Mai Tai ergibt, schließlich ist dieser Drink die Königsdisziplin für jeden Jamaikaner. Unsere bisherige Benchmark in Sachen Jamaika war der New Yarmouth 1994, und damit gelang uns ein wirklich ausgezeichneter Mai Tai. Doch der Hampden 89 dürfte das sprichwörtliche i-Tüpfelchen sein. Man darf nur nicht darüber nachdenken, was dieser Drink wohl kostet.
Guyana, Jamaika – und eine Überraschung
Ein Rum aus Guyana und einer aus Jamaika – das ist die Konstante in den derzeitigen Rum-Artesanal-Releases. Beide Pole liegen weit auseinander und sind doch die großen Crowd-Pleaser. Zusätzlich gibt es als Nummer drei jedes Mal ein weiteres Land – letztes Mal war das Belize, diesmal Fiji. Diese Abfüllungen zeigen, dass die Rumwelt weit mehr zu bieten hat als die üblichen Kürzel. Wir sind gespannt, was uns im Herbst aus Bad Bevensen erwartet.
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Schlagwörter: Dominik Marwede, Fiji, Fiji 2001, Guyana, Hampden, Hampden 89, HD, Jamaika, Rum, Rum Artesanal, Uitvlugt, Uitvlugt 89 Last modified: 28. Dezember 2022