Jeder spricht über Gin. Über den Vorfahren des Gin, den Genever, spricht jedoch (fast) niemand. Leider. Dabei kann guter Genever so viel mehr. Pur und in Cocktails. Richtig spannend (und noch viel nerdiger) ist fassgelagerter Genever, gewissermaßen die Nische in der Nische.
Und deshalb wird es höchste Zeit, nun einmal genau darüber zu schreiben.
Und zwar über eine echte Rarität, die die Grenze zwischen Whisky und Genever etwas verschwimmen lässt.
Wigman bringt zwei Rutte-Genever in Fassstärke
Michiel Wigman ist in den Niederlanden ein bekannter und angesehener Whisky-Liebhaber und -Bottler. Und doch hatte er offensichtlich einmal Lust auf etwas Neues, denn Ende 2022 wählte er für seinen Online-Shop zwei exklusive Genever von Rutte aus – und brachte diese gleich noch im Doppelpack in Fassstärke jenseits der 50%-Marke auf den Markt.
Genever, von Rutte, in Fassstärke. Das waren drei Gründe für mich, nicht allzu lange nachzudenken und direkt im Online-Shop zuzuschlagen. 120 Euro kosten die zwei 0,7-Liter-Flaschen.
Es handelt sich bei dem Genever-Duo um ein streng limitiertes Set, welches insgesamt nur 55-mal verfügbar ist. DAS kann man mal limitiert nennen.
Auf dem Etikett der beiden Flaschen ist die Brennmeisterin Myriam Hendrickx zu sehen, welche beide Genever kreiert hat. Ich schätze sie sehr, sowohl menschlich wie auch fachlich. Ich habe sie schon mehrfach persönlich getrunken, sie brachte mir verschiedene Stile von Genever näher, ich ihr das schöne deutsche Wort Herrengedeck bei (was übrigens auch eine Trinktradition in den Niederlanden ist). Sie hat eine hervorragende Nase und kann Aromen mit Leichtigkeit dechiffrieren. Die Produkte von Rutte kann man sowieso durch die Bank empfehlen.
Aber zurück zu den beiden Genevern von Wigman. Der eine Genever ist eher traditionell ausgerichtet, mit Extrakten von Bockshornklee (fenugreek), Johannisbrot (carob) und Wacholderextrakt (juniper). Der andere ist eine Spur mutiger interpretiert, mit Aromen von Zitrone, Kardamom und schwarzem Johannisbeerdestillat.
Die letzten Überreste eines besonderen Brands
Was die Produkte so besonders und rar macht: Myriam Hendrickx hat in beiden Genever die letzten Überreste des gealterten Malzbrands aus der Ära von John Rutte verarbeitet, dem ehemaligen Eigentümer und Brennmeister, der 2003 verstarb. Hendrickx hat ihn noch kennengelernt, allerdings starb er bereits einen Monat, nachdem sie im Unternehmen angefangen hatte. Seitdem verbringt sie viel Zeit mit alten Rezepten und in den Archiven, um die Geschichte von Rutte noch besser zu verstehen, wie sie mir einmal in Hamburg erzählte.
Dieser 14 Jahre alte, bereits vor zehn Jahren abgefüllte Malzbrand macht insgesamt 20 Prozent der Gesamtmenge der beiden Abfüllungen aus. In welchem Fass dieser Malzbrand reifte, ist nicht bekannt. Vermutlich war es französische Eiche.
Die restlichen 80 Prozent des Destillats teilt sich jeweils zur Hälfte in Single Malt und Single Oat auf, beide jeweils 5 Jahre alt. Der Haferbrand ist ein sogenannte “Beide Malzwein”, er enthält fünf Botanicals: Wacholder, Koriander, Angelika, Iriswurzel und Angelikasamen. Der Haferbrand reifte in Fässern aus amerikanischer Weißeiche.
Doch kommen wir nun zum Tasting. Ich habe beide Abfüllungen dem Spirituosen-affinen Freundeskreis serviert und die Präferenzen fielen jedesmal unterschiedlich aus. Deshalb war es vermutlich eine sehr gute Idee, das Duo direkt im Doppelpack anzubieten.
Rutte Cask Strength Genever (Johannisbrot, Bockshornklee, Wacholder)
Im Glas entfaltet dieser Genever eine feine und dennoch kraftvolle Nase. Ich nehme erdige Töne war, die mich an einen Wald erinnern – Moos, Baumharz, Wacholder, ein paar Kräuter und Gewürze. Alles fügt sich sehr stimmig zusammen und macht Lust auf mehr.
Im Mund kommt die Getreidearomatik des Malzweins zur Geltung. Würzig, auch hier finden sich Kräuter, aber auch leichte Röstnoten. Und auch hier ist wieder Wacholder mit einer leichten Süße.
Der Malzwein, die Kräuternoten, die Aromatik des Fasses – das alles harmoniert wunderbar und wurde geschickt von Myriam Hendrickx komponiert. Bravo!
Rutte Cask Strength Genever (Zitrone, Kardamom, schwarze Johannisbeere)
Nun begegnet einem eine völlig andere Aromatik. Aus dem Glas strömen fruchtige Noten, viel Zitrus, Blumen, aber auch Cassis. Das Mundgefühl ist komplexer als bei dem anderen Genever, dichter, komplexer. Neben dden Zitrusaromen findet sich im Hintergrund eine zarte Süße, die jedoch vom Kardamom dominiert wird. Dieser Geschmack ist ja nicht jedermanns Sache, mir gefällt er aber ganz gut.
Im Blindtest würde man hier im Zeitalter der New Western Dry Gins schon gar nicht mehr unbedingt an einen Genever denken. Aber das macht es ja irgendwie auch wieder spannend. Der Rutte Cask Strength zeigt, dass man einer so alten Spirituose einen modernen Twist verleihen kann.
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Last modified: 28. Dezember 2022