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Drei Tage, zehn Tresen: Eine Tour durch Hamburgs Bars

Es gehört zu den großen Irrglauben unserer Zeit, dass die hanseatische Zurückhaltung, die mit Hamburgs Händlern assoziiert wird, auch deren Trinkkultur dominiert. Drei Tage und Nächte im frostigen Februar ziehen Hendrik und ich durch Hamburgs Straßen und Viertel – vom schicken Winterhude über den Kiez bis zur Alster. Die Kälte treibt uns von Bar zu Bar, ein flüssiger Parcours durch die Stadt. Und wir merken wieder einmal: Hamburg trinkt. Und Hamburg trinkt gut.

Tag 1: Von Destillen und Absackern

Drilling – Kreative Drinks aus der Hausbrennerei

Die Deutsche Bahn macht ihrem Namen wieder einmal alle Ehre, und Hendrik trifft an einem Samstagabend mit reichlich Verspätung in Hamburg ein. Kurz ins Hotel eingecheckt, dann geht’s direkt zur S1 Richtung Blankenese. Ziel: das Drilling.

Die Location in einer ehemaligen Marzipanfabrik in Bahrenfeld ist nicht überlaufen, was uns die Gelegenheit gibt, uns direkt an den Tresen zu setzen und einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Im hinteren Bereich der Bar steht die Destille, das Herzstück des ganzen Unternehmens. Hier wird tatsächlich gebrannt, was später ins Glas kommt – eine Seltenheit.

Wir probieren uns durch das Sortiment, das es in sich hat. Hendrik bestellt einen Espresso Martini mit Himbeerschaum, durchaus interessant, wenngleich man sich fragen darf, ob die Welt darauf gewartet hat. Ein Rum-Manhattan mit “Jelly-Rum” folgt – süffig, mit einer angenehmen Panama-Charakteristik. Und weil wir es nicht mehr in ein Restaurant geschafft haben, probieren wir die Sandwich-Begleitung mit Kimchi, wahlweise mit Käse oder Schinken. Das ist perfektes Bar-Food und rechtfertigt schon allein den Besuch.

Hervorragend spontan gerät ein Drink mit 50-prozentigem Hontambere-Armagnac und Mezcal. Die “Wilde Maus”, eine Art Amaretto aus der hauseigenen Produktion, wirkt deutlich ausgereifter als die bittermandelaromatisierten Industrieabfüllungen im Supermarkt. Ebenfalls im Gedächtnis bleibt ein “Black Tea” mit Minzaromen und angebrannter Zimtstange serviert – Instagram-tauglich und geschmacklich überzeugend.

Zum Schluss habe ich einen Martini-Twist, der mit einem klassischen Martini jedoch so viel gemein hat wie ein Fahrrad mit einem Sportwagen – beide bringen einen von A nach B, aber auf völlig verschiedene Weise. Er hat einen Barbecue-Birnenbrand als Basis, selbstgemachtem, säurebetontem Wermut und einem Kokosnuss-Fat-Wash. Ein ausgesprochen mutiger Mix. Das Drilling liegt echt weit außerhalb, aber hat uns wirklich prima gefallen. Ein toller Start in dieses Bar-Wochenende!

Absacker-Drama im Le Lion

Auf dem Rückweg in die Stadt sagt Hendrik, was er immer sagt, wenn er in Hamburg ist: “Komm, wir gehen nochmal in den Löwen. Liegt ja auf dem Weg”. Nunja, einmal umsteigen und laufen, aber passt schon. Es ist kurz nach Mitternacht, als wir an der Tür klingeln.

Doch das Schicksal und die Technik sind gegen uns: Das neue Kassensystem, das Barbesitzer Jörg noch kürzlich in seinem Newsletter pries, ist abgestürzt. Um 0:15 Uhr werden keine Gäste mehr angenommen. Wir stehen vor verschlossenen Türen. Das Kassensystem braucht Ruhe – ganz im Gegensatz zu uns. So soll der Abend nicht enden.

Liquid Garden – Eine Weltreise der Aromen

In der Hamburger Innenstadt ist in den vergangenen Jahren einiges passiert, eine der besten Adressen ist in meinen Augen das Liquid Garden in der Mohlenhofstraße. Ich entscheide mich für einen Drink auf Basis von Gin, Banane, Birne, Chartreuse, Pastis, Zitrone und geklärtem Joghurt. Die Konsistenz ist kristallklar, dabei aber weich und cremig – ein Milkpunch, dessen Farbe über seine Komplexität hinwegtäuscht. 

Der Haoma Sour mit Whisky, Aprikose, Kardamom, Amaretto, Zitrone, Patchouli und Joghurt spielt gekonnt mit Aromen des indischen Subkontinents.

Den würdigen Abschluss bildet ein M&M – Mezcal mit Montenegro, ein Klassiker. Die Kombination aus rauchigem Agavenbrand und bittersüßem Kräuterlikör hat nichts von ihrer Magie verloren. Ein perfekter Abschluss für einen ersten Bar-Tag.

Tag 2: Von Dächern, Aperitifs und asiatischen Experimenten

Enchanté – Aperitivo mit Stil

Es ist Sonntag. Wir sind zunächst mit den Kids in der Stadt unterwegs, spielen in Planten un Blumen und essen Donut bei Brammibals. 15 Uhr seilen wir uns ab ins Enchanté, eine Aperitifbar vom Bohemian-Team. Daydrinking ist das Motto.

Hier gibt es kleine Snacks – etwas Tomate-Mozzarella und gebackene Kleinigkeiten. Mein Parmesan-Fizz ist ein relativ klassischer Gin Fizz, bei dem Parmesan kurz mitschwimmt, Hendrik wählt einen Pornstar Martini mit Twist, der gut, aber nicht unvergesslich ist.

Die eigentliche Offenbarung sind jedoch die Wineballs – Drinks mit niedrigem Alkoholgehalt (Low ABV). Nicht unbedingt unser gewohntes Terrain, denn normalerweise folgen wir eher dem Motto “Wenn schon, denn schon” – aber hier werden wir eines Besseren belehrt. Die Auswahl ist groß: Es gibt Varianten wie eine Paloma auf Weinbasis oder Kombinationen mit Limoncello oder Wermut. 

Hendrik entscheidet sich für eine Piña-Colada-Interpretation mit weißem Wein und Aluna Kokosnussrum. Was nach einer kulturellen Entgleisung klingt – Wein in einer Piña Colada? – entpuppt sich als Geniestreich. Extrem süffig das Ganze. So sehr, dass wir den Drink kurzerhand zum Cocktail des Monats Februar machten, hier findet ihr das Rezept. 

Mein Drink mit Campari und Rosé-Wein bietet angenehme Bitternoten in perfekter Balance – wie ein gut temperiertes Streitgespräch, das am Ende in Umarmungen endet. Nichts dominiert, alles ergänzt sich, genau so soll es sein.

Das Enchanté besticht zudem durch sein einladendes Ambiente, gute Anbindung und exzellente Barsnacks wie Trüffel-Gnocchi. Hier sitzen wir nicht zum letzten Mal.

Villa Viva Roof Drop Bar – Ausblick mit Abstrichen

Danach geht es wieder zurück in die Innenstadt. Die Roof Drop Bar der Villa Viva verströmt futuristisches Flair – etwas steril und unterkühlt, was zur aktuellen Außentemperatur passt. Vermutlich ist dies im Sommer eine ganz andere Nummer, wenn man auf der großzügigen Terrasse mit Blick auf Hafen und Kräne sitzt. Drinnen bieten bequeme Sitzecken ein angenehmes Ambiente, während es am Tresen weniger komfortabel ist.

Der Bartender hinter dem Tresen könnte glatt für einen Trappistenmönch durchgehen – wortkarges Schweigen scheint Teil des Konzepts zu sein. Schade eigentlich, denn man würde gerne mehr erfahren über all diese exotischen Zutaten auf der Karte. Sesamsalz? Pflaume? Klingt spannend, und ich wette, dahinter stecken Geschichten, die erzählt werden wollen.

Die Getränkekarte verspricht einiges – eine große Auswahl an Gewürzen, Früchten und Kräutern machen Nerds wie uns neugierig. Was dann aber im Glas landet, ist, na ja, sagen wir mal: solide, aber unaufgeregt. Mein Spritz mit Gin schmeckt nach… Gin mit etwas Sprudel und Süße.

Hendriks Oak and Smoke mit Mezcal und Tequila? Hauptsächlich Tequila mit einem Hauch von “da war noch irgendwas”. Die ganzen Rosmarin-Zweige und Gewürze, die auf der Karte so verlockend klingen, haben wohl auf dem Weg ins Glas eine Abkürzung genommen. Schade drum – sie hätten dem Ganzen gut getan.

Preislich kann man nicht meckern, das muss man der Bar lassen. Und im Sommer, wenn die Terrasse geöffnet ist und man mit Blick auf Hafen und Elphi sitzt, spielt der Geschmack vielleicht auch nur die zweite Geige. Für einen lässigen Nachmittag mit Freunden, die nicht jeden Drink sezieren wie wir, durchaus zu empfehlen. Für den, der auf der Suche nach dem perfekten Cocktail ist – nun, die Reise geht woanders weiter.

Nick and Nora – Agavengeister im Speakeasy

Es ist mittlerweile dunkel draußen, nun geht es ins Nick and Nora in Winterhude, eine relativ neue Bar im Speakeasy-Stil – dunkel, mit indirektem Licht und einem Schallplattenspieler für die passende Atmosphäre. Der Bartender aus Berlin setzt einen starken Fokus auf Agaven-Spirituosen, hat aber auch andere Raritäten im Angebot, wie einen 36 Jahre alten Panama Rum oder den Ryezcal von Stork aus dem Freimeister Kollektiv. Das macht uns schonmal richtig an.

Mein erster Drink entpuppt sich als eine Variation eines Old Cuban mit 1,75 cl Kirschbrand. Er kommt schön im Silberbecher arrangiert, wobei die Kirschnoten überraschend subtil ausfallen – blind verkostet hätte man sich schwer getan. Wirklich gut balanciert. Hendrik wählt einen Old Fashioned mit Haselnuss, der durch den Madeira sehr trocken ausfällt, dabei aber eine intensive Nussigkeit aufweist.

In Runde zwei tauchen wir tiefer in die Welt der Agaven ein. Ich bleibe bodenständig und bestelle einen Old Fashioned mit einem Mezcal, bei dem man die Prozente schon riechen kann. Hendrik dagegen wird experimentierfreudig: ein weißer Negroni mit Italicus, Qualia Bergamotto und Mezcal als Basis. Dazu Orangenbitters und eine frisch gequetschte Grapefruitzeste, die der Barkeeper mit sichtlicher Freude über dem Glas ausdrückt.

Hendriks erster Schluck spricht Bände – sein leichtes Nicken, gefolgt von einem zweiten, längeren Zug. Er schiebt das Glas rüber. Tatsächlich: alles passt zusammen, nichts sticht hervor, aber langweilig wird’s trotzdem nicht. Ein Drink, für den man abends nochmal zurückkommen würde.

Dass wir dort eine gute Zeit haben, liegt auch am Barkeeper. Er ist nicht einer jener Besserwisser, die einem die Molekülstruktur des Gins erklären, während man nur durstig ist. Hier wird geplaudert, nicht doziert. Fragen werden gestellt, Antworten werden gegeben, mal in die eine, dann die andere Richtung. Immer gutes Wasser dazu. Auch das ist ja heute nicht mehr selbstverständlich. Kleine Geste, großer Effekt – man fühlt sich willkommen. Da die Bar direkt bei mir um die Arbeit ist, werde ich auch hier in Zukunft häufiger vorbeischauen.

The Rabbithole – Ein letzter Schluck

Den finalen Absacker des Abends nehmen wir im The Rabbithole Bar auf dem Kiez. Hier darf man noch rauchen, ohne scheele Blicke zu ernten, hier trifft man Barkeeper nach Feierabend und andere Branchenleute, die sich entspannen.

Gespräche entstehen wie von selbst, und wenn man Glück hat, erfährt man zwischen zwei Zügen am Old Fashioned, welche neue Bar bald eröffnet oder welcher Spirituosenhersteller was vorhat. Ein guter Absacker für einen Sonntagabend, dieser Ort, an dem die Nacht sanft ausklingt und nicht abrupt endet

Tag 3: Von Legenden und Ikonen

Grill Royal – Stilvolles Ambiente mit soliden Drinks

Abend drei beginnt im Grill Royal, diesem Ableger des Berliner Promi-Tempels, kurz nach 19 Uhr an einem Montag. Das Restaurant ist noch relativ leer, der Empfang dennoch ausgesprochen höflich. Die Location selbst ist ein Hingucker. Eine Rakete schwebt über dem Tresen, als würde sie jeden Moment Richtung Alster starten.

An der Wand hängt ein Kunstwerk, das in Größe und Präsenz mit dem Raum konkurriert und gewinnt. Das Mid-Century-Design mit geölten Eichenholz-Paneelen und Murano-Glaslampen schafft eine Atmosphäre, in der man sich wie ein besserer Mensch fühlt, allein durch die Tatsache, dass man hier sitzt. Dazu bequeme Stühle am Tresen, die es einem leicht machen, “noch einen letzten Drink zu bestellen.” Eine gefährliche Falle für einen Montagabend, aber eine, in die man bereitwillig tappt.

Hendrik wählt einen Cosmopolitan 2023er Twist mit Himbeeren, der aromatisch und frisch daherkommt. Und ich? Ich weiß es nicht mehr. Wirklich nicht. Mein Drink, was auch immer er war, hat in meinem Gedächtnis weniger Spuren hinterlassen als ein Regentropfen auf dem Meer. Ein trauriges Schicksal für einen Cocktail, der sicher handwerklich tadellos war, aber eben nicht mehr. Sich an einen mittelmäßigen Drink nicht zu erinnern, ist wie die Namen all jener Mitschüler zu vergessen, die weder durch Brillanz noch durch witzige Anekdoten auffielen – kein Fehler, sondern eine Gnade des selektiven Gedächtnisses.

Der Service hier ist tadellos, doch nach einem Drink ziehen wir weiter. Wir wollen ja noch einiges entdecken.

Hotel Atlantic – Luxus mit Servicedefizit

Von der Alster ist es nur ein Katzensprung zum legendären Hotel Atlantic, dieser hanseatischen Institution, die seit 1909 den feinen Damen und Herren dieser Welt eine temporäre Heimat bietet. Wer durch die Drehtür tritt, betritt eine andere Zeit – eine, in der die Weltgeschichte noch in Grandhotels geschrieben wurde und James Bond über Dächer kletterte.

Die Bar empfängt uns mit jener gediegenen Eleganz, die nur echte alte Häuser ausstrahlen können. Schwere Polstermöbel, die vermutlich schon Staatsgäste und Filmstars getragen haben, ein Tresen mit samtiger Polsterung, der einem zuzuflüstern scheint: “Setz dich, bleib eine Weile.” Kaum haben wir Platz genommen, steht kurz darauf ein Silberschälchen mit Knabbereien vor uns. Das geht doch gut los.

Ich entscheide mich für den Transatlantic-Cocktail, eine Hommage an die große Zeit der Ozeandampfer, als das Atlantic noch Passagiere der Luxusliner beherbergte. Der Drink kommt in einem Silberbecher daher, auch das gefällt mir natürlich. Frisch geriebene Tonkabohne duftet verführerisch, bevor der erste Schluck mit feinen Champagner-Perlen über die Zunge tanzt. Für 25 Euro erwartet man Perfektion – und bekommt sie auch.

Hendrik wagt sich an einen Rumtini mit Chambord und Appleton 8 – eine Kombination, die auf dem Papier vielversprechend klingt. Doch was im Glas landet, ist leider zu süß geraten. Als der Kellner den obligatorischen “Schmeckt’s?”-Rundgang macht, gibt Hendrik höflich zurück: “Ein Hauch zu süß.” Ein Moment der Wahrheit, in dem sich Service-Qualität zeigt. In diesem Fall leider durch Abwesenheit. Der Kellner reagiert mit der Mimik einer Schaufensterpuppe, nimmt die Information schweigend entgegen und zieht von dannen, als hätte Hendrik lediglich über das Wetter philosophiert.

Letztlich hat’s den Abend nicht ruiniert – der Rest war klasse, mein Cocktail ein Traum, und die Atmosphäre kann man nicht kaufen. Aber dieser kleine Moment bleibt eben hängen. Schade drum.

Ba Nomu – Asiatische Aromen mit Überraschungen

Den Tag wollen wir in der Ba Nomu beschließen, einer Cocktailbar mit asiatischem Einschlag. Ich bestelle zuerst einen gerührten Drink mit Sesam im Old-Fashioned-Stil – einer jener Cocktails, bei denen die Karte freundlich vorwarnt. Zu Recht! Er ist umami-lastig und so komplex wie eine Origami-Anleitung im Fortgeschrittenenkurs. Etwas anstrengend? Vielleicht. Aber wie bei einem guten Film von David Lynch: Man muss ihn nicht komplett verstehen, um ihn zu genießen.

Hendrik bekommt etwas, das aussieht wie ein schlecht gezapftes Kellerbier, sich aber als erstaunliche Kombination aus kaltem Ananasdrink mit warmem Joghurtschaum entpuppt. Der Kontrast ist ein ungewöhnliches, aber gelungenes Experiment.

In Runde zwei wird Hendrik von essbarem “Engelshaar” verführt, einer zuckrigen Garnitur auf seinem Sweet-and-Sour-Mix. Nett, gefällig, aber nichts, was man dem anderen aufgeregt am Telefon erzählen würde.

Ich dagegen habe einen Volltreffer gelandet: einen Joghurt-Matcha-Cocktail, der perfekt ausbalanciert ist. Cremig, leicht herb vom Tee, mit einer Süße, die sich auf Zehenspitzen anschleicht. Einer jener raren Cocktails, bei dem man zwischen den Schlucken innehält, um das Glas ungläubig anzustarren. Einfach genau richtig. Wenn Drinks Schulnoten bekämen, wäre das eine glatte Eins. Das Ba Nomu hat wieder mal abgeliefert.

Und während wir die letzten Schlucke trinken, setzt sich jemand neben uns an dem Tresen. Er kommt aus dem The Bohemian, quasi ums Eck. Spricht über die neue Karte. Und wir stellen fest: Es gibt einen Drink mit Himbeerbrand von Hans Reisetbauer. Wer den Blog länger liest, weiß, dass wir große Fans seiner Produkte sind. Eigentlich wollten wir Schluss machen. Eigentlich …

The Bohemian – Das Erlebnis wird zur Kunst

15 Minuten später sind wir im The Bohemian, dieser kleinen Bar in einer der ältesten Straßen Hamburgs, die weniger Drinks serviert, als vielmehr Geschichten erzählt. Hier wird nicht einfach ein Glas hingestellt – hier bekommt man eine Show.

Wir bestellen “Dinner for Two” mit dem Himbeerbrand von Hans Reisetbauer. Was dann passiert, lässt uns schmunzeln: Der Barkeeper breitet eine blau-weiß-karierte Tischdecke aus, er stellt eine Kerze darauf und drapiert ein Stück Kuchen dazu. Das ist so herrlich kitschig, dass es schon wieder großartig ist.

Wie der Italiener um die Ecke, der einem die Serviette auf den Schoß legt, während Eros Ramazotti aus den Boxen dudelt. Nur dass hier der Drink fantastisch ist, leicht prickelnd durch die sanfte Karbonisierung und mit einem exzellenten Himbeerbrand. Ein gekonnt inszenierter, charmanter Kitsch. Was für ein Vergnügen!

Als nächstes versuchen wir den Nuked Negroni. Normalerweise ist Hendrik kein Fan des italienischen Klassikers – zu bitter, kompromisslos, unbequem. Dieser hier mit Nordcraft net & Berry, Erdbeeren und Kaffirlimette aber gleitet sanft über die Zunge. Wenn es einen Negroni für Negroni-Skeptiker gibt, dann diesen.

Der Blick schweift über das Rückbüffet der Bar, und ich entdecke dort einen der neuen Macallan, den man nicht überall findet. Der muss probiert werden, keine Frage. In solchen Momenten fühlt man sich wie ein Kind im Spielzeugladen, nur dass die Spielzeuge erheblich teurer und definitiv nicht jugendfrei sind.

Was mir beim Bohemian immer wieder gefällt: Dieses Team macht lieber wenige Dinge richtig gut, als ein Dutzend Dinge mittelmäßig. Während anderswo der fünfte Varianten-Spritz auf die Karte wandert, feilt das Bohemian-Team lieber monatelang an einem einzigen neuen Drink, bis er sitzt. So macht man das, wenn man seinen Gästen nicht nur einen Drink verkaufen will, sondern einen Abend, den sie nicht vergessen. Diese Jungs haben ihr Ding gefunden und ziehen es durch. Und man merkt, wie sehr sie es lieben, uns zum Staunen zu bringen.

Fazit: Eine Stadt der flüssigen Kontraste

Hamburg hat sich in den letzten Jahren zu einer der spannendsten Cocktailstädte Deutschlands entwickelt. Von der experimentierfreudigen Brennerei im Drilling, wo man seinen Drink quasi bei der Geburt beobachten kann, bis zum altehrwürdigen Atlantic, wo James Bond sich einst übers Dach schwang und vermutlich einen Martini bestellte – die Bandbreite ist beeindruckend.

Am meisten Eindruck hinterlassen haben bei uns das Nick and Nora, die überraschend leckeren Wineballs im Enchanté, die beweisen, dass man für einen guten Drink nicht unbedingt einen Kater in Kauf nehmen muss, und natürlich das Bohemian, das jedem Schluck einen Rahmen gibt, der weit über das Glas hinausgeht.

Natürlich gibt es auch hier Licht und Schatten. Aber ist das nicht wie im echten Leben? Ohne die Nieten wüssten wir die Perlen nicht so zu schätzen.

Wer nach Hamburg kommt, sollte mehr als nur einen Abend für seine Cocktail-Odyssee einplanen. Drei waren für uns gerade genug, um einen ersten Eindruck zu bekommen – und viel zu wenig, um alles zu probieren, was diese Stadt an flüssigen Köstlichkeiten bereithält. Auf unserer Liste gibt es noch einige, die wir nachholen müssen.

Und noch ein letzter Tipp für alle, die wie wir gerne nach dem letzten Drink noch einen kleinen Happen brauchen: Gleich um die Ecke vom Enchanté gibt es bei Schorsch eine Currywurst, die so gut ist, dass sie einen fast wieder nüchtern macht. Fast. Cheers, Hamburg – wir kommen wieder! Im Herbst planen wir Teil 2 der Tour.

Last modified: 9. März 2025
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