Als Whisky-Fan fragt man sich immer wieder: Bleibt man bei dem Vertrauten, dem Bewährten, oder wagt man den Seitensprung ins Unbekannte? Ardbeg, eine meiner Lieblings-Whiskymarken, hat mit der neuen Anthology-Reihe ein Format geschaffen, welches mich vor genau diese Frage stellt.

Der Auftakt ist „The Harpy’s Tale“, benannt nach einer mythischen Kreatur, halb Vogel und halb Frau. Um die Verschmelzung zweier Welten geht es bei dieser Abfüllung.

Mit der „Harpy’s Tale“ kreierte Ardbeg einen Whisky, der seine Wurzeln in den rauchigen Tiefen von Islay hat, aber einen süßen Flirt mit französischen Sauternes-Fässern wagte. „The Harpy’s Tale reifte 13 Jahre in raren französischen Sauternes Süßweinfässern und ist mit Ardbeg aus klassischen Ex-Bourbon-Fässern vermählt“, heißt es auf der offiziellen Webseite.

Ardbeg Harpy’s Tale im Tasting

Wir gönnen dem Whisky zunächst ein paar Minuten allein im Glas. Dann finde ich einige Aromen, die mir vertraut vorkommen, andere weniger. Ein wenig wie die alte Flamme, die sich ein neues Parfüm zugelegt hat. 

Da ist der altbekannte Rauch, die salzigen Seetangnoten und die leichte Fleischigkeit, die wir von Ardbeg kennen und lieben (selbst ich als Vegetarier). Doch dann treten die Sauternes-Fässer auf den Plan. 

Ardbeg Harpys Tale Etikett

Nun, Whisky und Süße, das funktioniert bekanntlich hervorragend. Und Sauternes und Whisky gab es in der Vergangenheit bereits, zuletzt hatte ich davon eine Abfüllung von Stauning im Glas. Doch in „The Harpy’s Tale“ wird die Liaison auf eine interessante Ebene gehoben. Denn die Sauternes-Fässer, in denen ein Teil dieses Drams 13 Jahre reifte, hinterlassen in der Nase eine elegante Signatur von Vanille, Aprikose und etwas Karamell.

Auf der Zunge zeigt sich eine ölige Textur und auch hier mäandert der Whisky zwischen den Sauternes-Aromen und den typischen Islay-Noten. Der Rauch ist süßer, als man es gewohnt ist. Der Abgang ist eine Hommage an die Islay-Tradition mit einer kräftigen kräuterigen Würze von Anis, die sich langsam, aber stetig entfaltet. Die Süße bleibt eine Weile, tritt dann aber den Rückzug an und überlässt dem Rauch das Schlusswort. Das ist ein schönes Miteinander, das mir gut gefällt. Ein wenig schottische Sturheit, die auf französische Romantik trifft.

Fazit

Beim Preis von 140 Euro könnte man meinen, in einigen der Sauternes-Fässern schlummerte auch ein Stück Gold. Zumal der Whisky mit 46 Volumenprozent und nicht in Fassstärke abgefüllt wurde. Doch so ist das mittlerweile bei Ardbeg und den limitierten Editionen. Man sucht hier das Besondere und nicht die Preis-Leistungs-Champions. Zum Vergleich: Den Ardbeg 10 aus der Standard-Range gibt es für etwa 50 Euro und damit für fast ein Drittel des Preises. Aber hier fehlt natürlich die filigrane Note des Sauternes-Finishs.

Insofern bleibt „The Harpy’s Tale“ ein Whisky für Liebhaber der Marke und Sammler. Ich jedenfalls bin gespannt, was die nächste Abfüllung sein wird.

Lest auch:

Ardbeg Scorch im Test – Beeindruckendes Spiel mit dem Feuer

Whisky-Wahnsinn: Ardbeg verkauft Einzelfass für 16 Millionen Pfund

Glenmorangie: A Tale of the Forest im Test – Ruf des Waldes