Zucker und Zeste: Hallo Nicolas, vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Für diejenigen, die Catawiki noch nicht kennen – was genau macht ihr und was ist deine Position dort?
Nicolas Heidrich: Catawiki ist ein Online-Auktionshaus und Marktplatz für besondere Objekte. Verkäufer reichen ihre Lose ein und alles wird von Experten im jeweiligen Bereich geprüft. Catawiki hat über 240 Experten für alles von Autos über Uhren bis hin zu Kunst und natürlich Spirituosen und Wein. Mein Kollege Emile und ich sind für die Spirituosen-Kategorie zuständig, vor allem Cognac, Armagnac, Whisky, Rum und andere. Wir prüfen die eingereichten Lose auf Echtheit, lehnen jede Woche Fälschungen ab und stellen sicher, dass die Leute auf unserer Plattform mit Vertrauen kaufen können. Wir datieren und bewerten die Flaschen und achten darauf, dass die Preise angemessen sind. Unsere Aufgabe ist es, als neutrale Vermittler zwischen Käufern und Verkäufern zu agieren. Dazu nehmen wir das Geld vom Käufer entgegen, informieren den Verkäufer, dass wir die Summe erhalten haben, dieser versendet dann die Ware und sobald der Käufer sie erhalten hat und zufrieden ist, wird der Verkäufer ausbezahlt. So sind beide Seiten geschützt.
Zucker und Zeste: Was hat dich dazu bewogen, zu Catawiki zu wechseln? Du warst vorher auch schon bei Whisky-Auktionen tätig, richtig?
Nicolas: Genau, ich habe als Auktionator bei einer anderen Online-Auktion gearbeitet, die sich hauptsächlich auf Whisky spezialisiert hatte. Catawiki hatte ich schon länger im Blick. Ich mag die Unabhängigkeit und Autonomie dort, man kann remote arbeiten und sich die Zeit frei einteilen. Das ermöglicht es einem, in den produktivsten Stunden zu arbeiten. Außerdem sind einige der weltweit führenden Experten wie zum Beispiel für Rum bei Catawiki. Ich hatte das Gefühl, es wäre ein guter Ort für den nächsten Schritt meiner Karriere. Und das hat sich auf jeden Fall bestätigt.
Zucker und Zeste: Verfügt Catawiki selbst über eine Sammlung oder versteigert ihr nur Flaschen von Verkäufern?
Nicolas: Catawiki selbst besitzt keine Flaschen und verkauft auch nicht direkt. Wir sind nur Vermittler. Was wir auf unsere eigene Rechnung anbieten, sind Flaschen aus unseren Privatsammlungen zum Verkosten.
Zucker und Zeste: Ihr habt wirklich seltene Schätze im Angebot, Flaschen aus den 50ern, 60ern, sogar von 1910. Wie spürt ihr diese Raritäten auf? Habt ihr ein Netzwerk von Sammlern und Verkäufern?
Nicolas: Oh ja, wir nutzen jede Gelegenheit, um an außergewöhnliche Flaschen zu kommen. Wir reisen viel herum und halten überall Ausschau, schauen in jedes Schaufenster. Die Leute, die mit uns unterwegs sind, werden manchmal verrückt, weil wir in jeden Laden mit Flaschen im Fenster müssen. Manchmal versuchen sie sogar, uns die Regale mit den Flaschen nicht sehen zu lassen, damit wir nicht 20 Minuten darin stöbern. Wir kaufen auch von Sammlern und natürlich bei Online-Auktionen. Dort finden wir oft Schnäppchen, weil die Flaschen falsch datiert sind. Am liebsten würden wir in der Zeit zurückreisen, denn der Inhalt der Flaschen bleibt recht stabil. Es ist wie flüssige Geschichtsschreibung.
Zucker und Zeste: Was war die älteste oder seltenste Flasche, die ihr hattet?
Nicolas: Die älteste Destillation, die ich je probiert habe, war ein Cognac von 1811. Das war Napoleons Lieblings-Jahrgang. Damals gab es einen Kometen am Himmel, der die Nächte erhellte, so dass die Trauben auch nachts Licht bekamen. Das führte zu einem legendären Jahrgang. Später im 19. Jahrhundert wollte jeder 1811er haben. In den 1870ern wurde viel mehr davon hergestellt, aber meiner war authentisch. Wir haben ihn für etwa 40 Euro pro Centiliter verkauft, was schon beachtlich ist für dieses Alter.
Zucker und Zeste: Und wie stellt ihr sicher, dass diese alten Flaschen echt sind und keine Fälschungen?
Nicolas: Das ist eher eine Kunst als eine Wissenschaft. Wir achten auf Dinge wie die Kapseln, Abfüllcodes, Steuerbanderolen. Auch die Abfüllhistorie ist ein wichtiger Indikator – wenn man weiß, was die Hersteller gemacht haben, fallen einem Dinge auf. Fälscher machen manchmal dumme Fehler, zum Beispiel ein Format, das es nie gab oder ein Jahrgang, in dem nicht produziert wurde. Wir müssen da immer auf der Höhe sein. Deshalb sprechen wir auch nicht über alle Details unserer Authentifizierungsmethoden, denn das ist unser Wettbewerbsvorteil. Es geht viel um Vergleiche. Manchmal sind wir uns nicht 100 Prozent sicher – dann lehnen wir die Flasche lieber ab, auch wenn der Verkäufer überzeugt ist, dass sie echt ist. Das führt manchmal zu Spannungen. Aber von den 400-500 Losen pro Woche lehne ich circa 3 ab. Dazu kommen Flaschen, die schon geöffnet wurden usw.
Zucker und Zeste: Was war der teuerste Fehler, den du je gemacht hast – eine Flasche akzeptiert, die sich als Fälschung herausstellte?
Nicolas: Solche Fehler verfolgen einen. Es war mal eine Caroni-Flasche, die für 2000 Euro verkauft wurde. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass sie fachmännisch wieder versiegelt worden war, mit einem sehr guten Steuerstreifen und allem. Ich kann mir nach den vielen Jahren verzeihen, aber es macht einen noch paranoider.
Zucker und Zeste: Nach welchen Kriterien setzt ihr die Preise für eure Raritäten an?
Nicolas: Wir schauen, was wir selbst dafür bezahlt haben und was der Wiederbeschaffungswert wäre. Manchmal haben wir etwas vor 10 Jahren gekauft und jetzt ist es das Zehnfache wert. Dann verlangen wir nicht den vollen Preis, sondern irgendwo in der Mitte. Unser Ziel ist es, dass die Leute interessante, gute Sachen zu einem fairen Preis probieren können. Mein Kollege Emile und ich suchen immer nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis auf dem Markt. Das Ganze soll ja auch noch Spaß machen.
Zucker und Zeste: Du bist seit fast 4 Jahren bei Catawiki und warst auch vorher schon als Auktionator tätig. Wie hat sich der Markt für rare Spirituosen in dieser Zeit verändert? Gibt es bestimmte Trends oder Regionen, die populärer werden?
Nicolas: Ja, definitiv. Whisky war nach der letzten Finanzkrise die erste Spirituose, deren Preise explodiert sind. Teils, weil die Leute nach alternativen Investments suchten, aber auch weil sich die Produktionsmethoden für die älteren Whiskys geändert hatten. Die Qualität der neueren erreichte nicht mehr das Niveau der alten, was zu einer Verknappung führte. Beides zusammen trieb die Preise nach oben. Als ich anfing, begann auch der Rum-Boom. Ich selbst habe meinen ersten Caroni 2012 gekauft, den 12-jährigen für 50 Euro. Heute ist er ein Vielfaches wert. Caroni ist eine geschlossene Brennerei mit einem ganz eigenen Stil – stark fehlerbehaftet, aber auf einzigartige Art. Das macht den ganzen Charme und die Qualität aus. Diese “Fehler” geben ihm die Persönlichkeit.
Zucker und Zeste: Wie viele Flaschen umfasst deine Sammlung?
Nicolas: Ich weiß die genaue Zahl gar nicht, aber es dürften zwischen 500 und 600 sein. Dazu kommen nochmal etwa 100 offene.
Zucker und Zeste: Auf welche Flasche bist du besonders stolz?
Nicolas: Das ist schwer zu sagen, es gibt so viele, zu denen ich eine Verbindung habe. Aber eine meiner Favoriten ist ein Laphroaig, der an meinem Geburtstag destilliert wurde. Der Jahrgang ist hervorragend und Laphroaig war meine erste Whisky-Liebe. Gefühlsmäßig bedeutet mir diese Flasche sehr viel. Es ist selten, dass man seinen exakten Geburtstag findet. Aber Whisky macht das möglich. Und genau das wollen wir mit unserem Stand zeigen – die Bandbreite von neuen Abfüllungen bis hin zu seltenen Schätzen, die man in unseren wöchentlichen Auktionen finden kann. Wir wollen die Leute inspirieren, nicht nur im Laden zu suchen, sondern auch bei Auktionen. Denn ehrlich gesagt macht man dort die besten Schnäppchen und Entdeckungen.
Zucker und Zeste: Wer sind eure typischen Käufer – Genießer, Sammler oder eher Investoren?
Nicolas: Es gibt einen großen Anteil Investoren, die sowohl kaufen als auch verkaufen. Dann noch die Sammler. Und die Trinker. Viele Trinker werden zu Sammlern, weil sie mehr kaufen als sie trinken können. Aber die Grenzen verschwimmen zunehmend.
Zucker und Zeste: Denkst du, dass Spirituosen zunehmend als Investition gesehen werden? Ist das ein Trend?
Nicolas: Ja, Spirituosen werden definitiv mehr und mehr als Anlageklasse betrachtet.
Zucker und Zeste: Siehst du das eher positiv oder negativ?
Nicolas: Beides. Schlecht, weil es die Preise hochtreibt und Dinge für mich unerschwinglich macht. Gut, weil es Nachfrage und Auktionserlöse schafft, die es mir ermöglichen, das zu tun, was ich liebe. Man kann die Marktkräfte nicht daran hindern, außergewöhnliche Dinge zu ihrem wahren Wert zu bringen. Was wir aber beobachten: Die Spekulation auf Whisky und einige Rums flaut ab. Mit steigenden Zinsen geht diese Investitionsmanie zurück. Dafür wachsen jetzt Cognac und Armagnac. Relativ gesehen war der Preisunterschied zwischen einem 50-jährigen Whisky und einem 50-jährigen Cognac irrational, der Whisky war oft zehnmal so teuer. Nach dem Wahnsinn der letzten 10 Boom-Jahre sehen wir jetzt eine Korrektur- und Ausgleichsphase. Vergleichsweise unterbewertete Dinge holen auf, überbewertete geben nach. Es gibt weniger Spekulation von Leuten, die einfach schnell mit Whisky Geld machen wollen. Diese Gelegenheiten sind weitgehend verschwunden.
Zucker und Zeste: Also rätst du, sich eher auf Cognac, Armagnac oder unbekanntere Whiskys zu konzentrieren statt auf die üblichen Verdächtigen? Welche Tipps hast du für Sammler, die in Spirituosen investieren wollen?
Nicolas: Ich würde immer auf den inneren Wert einer Spirituose achten. Also Dinge wie: Wurde sie vor 50 oder 100 Jahren destilliert? Das ist ein Wert an sich. Wenn so etwas für 50 Euro verkauft wird, ist es wahrscheinlich unterbewertet. Eine limitierte, aktuelle Ardbeg-Sonderabfüllung hat dagegen zwar einen gewissen Sammlerwert, aber keinen so hohen inneren Wert. Da ist mehr Spekulation im Spiel. Ich würde auf die Geschichte schauen, das Alter, den Hersteller, wie es produziert wurde. Erzeugnisse aus der Zeit vor den 60ern. Die sind meiner Meinung nach immer noch nicht richtig bewertet im Vergleich zu ihrer Qualität.
Zucker und Zeste: Manchmal habt ihr einen Macallan 12 Jahre aus den 70ern oder 80ern. Was ist der Reiz an so alten Abfüllungen von bekannten Marken? Warum kaufen die Leute sie statt der heutigen Versionen?
Nicolas: Zwischen den späten 60ern und mittleren 80ern fand eine Art Industrialisierung des Whiskys statt. Früher ging man davon aus, dass es fast unmöglich war zu kontrollieren, was am Ende im Fass ist und ein konsistentes Ergebnis zu erzielen. Die Produktion war sehr kühn, es gab viele Faktoren, die schief gehen oder perfekt laufen konnten. Man hatte eine riesige Variabilität. Es konnte sehr schlecht sein – oder überirdisch gut.
Zucker und Zeste: Und heute?
Nicolas: Heute haben wir das eingeengt. Das ganz Schlechte gibt es nicht mehr, aber eben auch viel weniger vom Überirdischen. Damals, als es so schwierig war, ein beständiges Produkt zu erzeugen, kamen die großen Blending-Häuser auf, allen voran Johnnie Walker. Sie schauten sich die unendliche Vielfalt der verschiedenen Whiskys an und kreierten daraus einen gleichbleibenden Geschmack, etwas Beständiges. Darum brauchten sie die ganzen unterschiedlichen Brennereien und Stile. Heute können wir viel genauer kontrollieren, was wir wollen – durch Technologie, Computer, Hefen, die sehr vorhersehbar sind. Es gibt weniger Abweichungen. Das ist gut, aber wir haben die Ausreißer nach oben verloren. Das macht die alten Abfüllungen so attraktiv.
Last modified: 14. Juli 2024