Meine Heimatstadt Halle ist kein Hotspot der modernen Barkultur. Deswegen verschlägt es mich auch sehr selten in eine Bar. Eine positive Ausnahme ist das Colonne Morris. Eine Kiezbar im Herzen des Paulusviertels, ein in drei Ringen bebautes Wohnviertel aus der Gründerzeit, in dessen Zentrum sich der Hasenberg mit der namensgebenden Pauluskirche befindet. Das Paulusviertel ist mit einem Mix aus Studenten, Künstlern und gut situierten Familien bevölkert, gewählt wird überwiegend grün. Betrieben wird das Colonne Morris, welches im Übrigen nach der davor stehenden Litfaßsäule benannt ist, von Christoph Hahn. In einem Gespräch mit uns plauderte er ein wenig aus seinem Alltag als Barbetreiber. Dazu gab es natürlich auch einige Drinks und auch sehr leckeres Essen.

Wie lange gibt es das Colonne Morris und als was versteht ihr euch?

Das Colonne Morris wurde 2008 von seinem Vorbesitzer eröffnet und besteht in der jetzigen Form und Auslegung seit 2011. Wir haben das Colonne Morris ab 2013 übernommen. Zu diesem Zeitpunkt war das Colonne bereits ein gut laufender Ganztagsladen, bei dem wir wussten, das wir noch an diversen Stellen ein wenig schrauben können. Zunächst haben wir uns um das Frühstück gekümmert und dann sind wir so nach und nach in das Ende des Tages gewandert. Letztes Jahr haben wir die Karte noch einmal neu geschrieben und denken, dass wir seit 6 bis 7 Jahren auf einem Niveau sind, mit dem wir den gesamten Tag als Bar sehr gut abdecken können.

Gibt es bei euch ganztags Speisen oder Snacks?

Am Morgen startet der Tag mit der Möglichkeit zu frühstücken und einem, wie ich finde, sehr gutem Kaffee. Unsere wechselnden Gerichte im Mittagsgeschäft bereiten wir selbstverständlich frisch zu, auch unseren Kuchen backen wir selbst. Warme Küche gibt es bei uns bis 21.30 Uhr.

Colonne Morris Eingang

Für eine leckere Küche haben wir natürlich ebenso viel übrig, aber noch mehr interessieren uns Drinks! Was trinkt denn Halle?

Halle ist keine klassische Barstadt, der Hallenser gibt sich auch mit einem gut gemachten Moscow Mule oder Mojito zufrieden. Deshalb versuchen wir die Drinks mixologisch nicht zu komplex zu gestalten und leicht zugänglich zu halten. Drinks auf der Basis von Cognac oder Mezcal sind für unser Klientel einfach viel zu verkopft. Die Drinks sollen einfach sein und Spaß machen. Deswegen laufen die Klassiker bei uns gut. Dazu verkaufen wir natürlich auch viele Gin Tonics mit allen möglichen Gins, die wir vorrätig haben. Mittlerweile versuche ich noch über eine ganz kleine Signature Karte nach und nach meine eigenen Gedanken mit einfließen zu lassen. Für viele Bars ist klar, dass es die ganzen Klassiker gibt und bestellt werden können, deswegen stehen die dort häufig gar nicht auf der Karte. Das ist bei uns anders. Wenn wir Drinks nicht auf die Karte schreiben, bestellt sie auch keiner.

Du hast vier Signature Drinks. Zwei davon trinken wir gerade – den Earl of Grey mit Gin, Dry Curacao, Earl Grey und Ginger Ale und den Pear Us Together mit Birnenbrand und Tonic Water. Was möchtest du mit diesen Drinks zusätzlich auf deine Karte bringen? Oder gibt es eine Geschichte dazu?

Die Drinks sind ein Versuch, mit relativ wenig Zutaten leicht verständlich zu zeigen, dass es nicht immer nur G&T, Cuba Libre oder Mojito sein muss, sondern dass auch abseits dieser Cocktails sehr viel möglich ist.

The Earl of Grey

Was macht für dich ein guter Cocktail aus?

Gute Zutaten. Ein Drink kann nur so gut sein wie seine schlechteste Zutat! Natürlich aber auch ein Bartender, der in der Lage ist, gute Drinks zu verkaufen, dazu eine angenehme Atmosphäre in der Bar. Der Mix ist entscheidend!

Würdest du dir ein experimentierfreudigeres Publikum wünschen oder bist du zufrieden wie es ist?

Ich bin auf jeden Fall sehr zufrieden. Ich habe natürlich auch immer Sachen im Kopf, mit denen man sich vielleicht mal noch irgendwo erweitert, da müssen aber immer alle Dinge passen. Und in dem Moment, wo ich mich auf etwas anderes fokussiere, kann ich mich hier nicht mehr so gut kümmern. Die Leute legen jedoch sehr viel Wert darauf, dass ich hier vor Ort bin. Bei uns ist die Fluktation der Gäste nicht so groß wie bei anderen. Zusätzlich bin ich eher ein Freund eines stabil laufenden Ladens anstatt zwei Läden zu führen, aber nur mit jeweils halber Power.

Von meinen Besuchen bei Dir in der Vergangenheit weiß ich, dass du sehr gute Drinks mit hochwertigen Zutaten mixt. Warum sind bei dir die Preise im Vergleich zu anderen Bars so günstig, ja fast schon billig? Deine Signature Drinks kosten allesamt unter 7 Euro. Mich schrecken niedrige Preise eher ab, weil ich dann schlechte Drinks erwarte

Der günstige Preis hat mehrere Gründe. Ich möchte mich preislich nicht gleich im oberen Regal einsortieren, sondern langsam herantasten, weil ich natürlich keine Abwehrhaltung meiner Gäste provozieren möchte. Dann ist es mir auch sehr wichtig, dass jeder meiner überwiegenden Stammgäste einen guten Drink zu einem fairen Preis genießen kann. Im Laufe der nächsten Jahre wird sich der Preis sicherlich auch etwas nach oben entwickeln, so selbstbewusst bin ich mittlerweile.

Christoph Hahn Colonne im Morris

Was hast du vor deiner Zeit im Colonne Morris gemacht? Hast du eine klassische Lehre in der Gastronomie absolviert?

Ich habe keinen Beruf in der Gastronomie gelernt, sondern habe während meines Studiums die Gastronomie kennen und schätzen gelernt. Wie sehr viele Studenten habe ich während des Studiums nebenher angefangen zu kellnern. Das ging soweit, dass ich deutschland- und österreichweit auf Festivals gefahren bin, um da an Cocktailbars zu arbeiten. Dort lernt man sicher nicht die Qualität, dafür aber die Geschwindigkeit und die Organisation hinter der Bar.

Während dieser Zeit habe ich eigentlich auf allen großen Festivals gearbeitet. Das organisiert eine große Agentur in Altenburg. Wir sind sozusagen nach Österreich als „ostdeutsche Spargelstecher“ gefahren und haben für 6 Euro pro Stunde Drinks gemacht.

Wie ist es euch während der Lockdowns ergangen?

Weil wir sehr viele treue Gäste haben wurde unser Angebot rege genutzt. Wir hatten veränderte Öffnungszeiten und haben immer von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Damit konnten wir recht gut die Essenszeiten abdecken und zumindest Kaffee, Kuchen und kleine Snacks anbieten. Ein Abendgeschäft wäre schwierig geworden. Ich musste ja trotzdem kostendeckend arbeiten. So lief es dann wirklich recht gut. Aber ohne meine treue Stammkundschaft wäre das nicht möglich gewesen.

Ist das der Vorteil einer „Kiezbar“?

Definitiv! In einer touristischen Ecke müsste ich die Leute jede Woche neu überzeugen. Mein Vorteil ist, gerade in solch einer Situation, dass uns die Menschen hier kennen und schätzen. Und uns deswegen auch weiter unterstützt haben, indem sie unsere Angebote angenommen haben. 70 bis 80 Prozent unserer Gäste sind Stammgäste. Diesen Bonus haben Bars mit stark wechselndem Publikum weniger.

COlonne Morris Karte

Gibt es irgendeinen Trend den du spannend findest, jedoch nicht in deiner Bar siehst?

Das ist eine spannende Frage! In meiner Wahrnehmung läuft der Rum dem Whiskey gerade ein wenig den Rang ab. Das ist zumindest mein Empfinden. Ich selbst würde da auch gerne mehr versuchen, weiß aber, dass mein Klientel damit Schwierigkeiten hätte.

Weil der Signature Drink für dich fehlt oder weil man Rum selten pur trinkt?

Weil man ihn selten pur trinkt. Ich habe zwar in meiner Backbar ein paar Spirituosen für den Pur-Genuss, das ist jedoch der Bereich, der bei uns am wenigsten geht. Wenn ich eine Spirituose nicht in einem Drink verarbeite, wird sie eigentlich relativ wenig bis gar nicht bestellt.

Ihr habt auch einen Drink mit Wonderleaf auf der Karte. Was denkst du über No ABV?

Ich finde es gut, dass die Entwicklung mittlerweile so weit ist, dass Gäste die entweder keinen Alkohol trinken wollen oder können in einen ähnlichen Genuss kommen.

Brauchst du dafür einen Wonderleaf, also einen Gin für 25 Euro, der streng genommen kein Gin ist?

Da mache ich es mir einfach und nehme diese Produkte als Geschmacksgrundlage für die Drinks. Ich möchte es vermeiden einfach einen Saft zu nehmen und beispielsweise Grenadine oder viel Sahne dazu zu kippen, was ja bis vor Kurzem noch der Standard für alkoholfreie Cocktails war.

Wird das von deinen Gästen angenommen?

Ja es wird langsam angenommen, auch wenn wir davon keine große Mengen verkaufen. Die Leute schätzen es aber, dass wir das anbieten.

Kennen deine Gäste denn das Produkt oder musst du viel aufklären?

Teilweise fragen die Gäste natürlich, aber weil es mittlerweile auch in den Supermärkten zu finden ist, kennen es auch immer mehr. In dem Moment, in dem ein Produkt im Supermarkt steht, ist es in der Wahrnehmung angekommen. Ich plane jetzt allerdings nicht, viele Produkte aus dieser Kategorie in den Bestand aufzunehmen. Insgesamt haben wir den Wonderleaf aber auch schon 1,5 Jahre auf der Karte.

Christoph Hahn mixt Godfather

Wie versuchst du deine Gäste zu überzeugen, etwas Neues auszuprobieren?

Bei der ersten Bestellung bekommst du den Gast wahrscheinlich nicht vom Cuba Libre oder der Caipirinha weg. Für den zweiten Drink hat man aber mitunter auch etwas mehr Redezeit, dann kann ich versuchen, den Gast von etwas Neuem zu überzeugen. Ich sehe auch an unseren Statistiken, dass sich der Earl of Grey immer besser verkauft. Die meisten unserer Gäste zeigt sich offen dafür, wenn man sie darauf anspricht. An Abenden, an denen sehr viel los ist und entsprechend nicht soviel Zeit zum reden ist, bleiben es aber überwiegend die Klassiker.

Gibt es einen Bartender oder eine Bar, die dich inspiriert? Wo holst du dir deine Ideen?

Ach, ich glaube da mache ich es wie viele Andere. Ich schaue viel bei Instagram, folge einigen Bartendern, Bars und auch Influencern. Manchmal versuche ich aber auch einfach einen Geschmack zu replizieren. So zum Beispiel beim Earl of Grey, der letztlich ein alkoholisierter Ice Tea ist. Dann hatte ich einen Kurs von Marian Krause, den allerdings Andreas Küsnter geleitet hat. Da habe ich mir sehr viel abgeschaut. Der Kurs nannte sich „Skills behind the Bar“. Marian Krause war bereits damals für mich eine Institution. Ich schaue aber natürlich auch, was andere bekannte Bartender machen. Ebenso mag ich den offensiven Umgang von Jörg Meyer mit seinen Rezepten. So wie jetzt aktuell zum Beispiel mit dem Drink La Boum. Er stellt die Rezepte immer gleich offen zur Verfügung und es gibt keine Geheimhaltung.

Würde der La Boum auch hier in Halle funktionieren?

Auf jeden Fall! Das wäre genau der Drink, den die Leute hier trinken würden. In den letzten Jahren hatte ich auf der Sommerkarte immer einen Rhabarberdrink mit einem Rhabarberlikör aus dem Spreewald. Das hat auch super funktioniert. Wenn du im Sommer irgendwo Rhabarber oder Wassermelone dran schreibst reißen es dir die Leute aus den Händen!

Ja, wir mögen den Drink sehr! Auch der Name haut rein und vermittelt direkt gute Stimmung!

Auf jeden Fall, zusätzlich zeigt der Drink super, dass auch Cachaca nicht nur Caipirinha ist.

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