Mit der ersten Abfüllung der neuen Serie “The Virtues”, inspiriert von Dantes Vision der Tugenden, wird ein weiterer erzählerischer Bogen gespannt. Erneut kooperiert Distilia für diese Serie mit Rob Bauer, um an den Erfolg von der “The Sins” – Reihe anzuschließen.
The Virtues – Charity
Die Abfüllung wurde auf La Reunion in der Savanna Distillery im August 2008 aus frischem Zuckerrohrsaft in der Savalle-Still, verantwortet von Johnny Landais, destilliert. Fünfzehn Jahre Reifezeit unter tropischer Sonne, in einem ehemaligen Cognac-Fass, haben diesen Brand geformt. Abgefüllt wurde das Fass (Nr. 447) im Mai 2024, in Fassstärke von intensiven 68,3 %, ohne jegliche Zusätze. Das Fass war eines der ältesten Fässer, die diese Destillerie je für eine solche Reife zurückgelegt hat. Eine 700 ml Flasche kostet 320€. 113 Flaschen wurden insgesamt abgefüllt. Für das äußert gelungene Design zeigt sich abermals Theresa Plos in Zusammenarbeit mit Rob Bauer verantwortlich.
Tasting
In der Nase bietet der Charity einen opulenten Auftakt. Die dunklen und intensiven Töne von lackiertem Zedernholz zeigen direkt das es sich um einen lange tropisch gereiften Agricole handelt. Fünfzehn Jahre Reifung unter den Bedingungen La Réunions hinterlassen unweigerlich Spuren. Man kann die Trockenheit schon jetzt förmlich schmecken. Neben dem sehr präsenten Holz finde ich karamellisiertes Zuckerrohr mit viel Lakritz. Daneben entfalten sich sehr reife Mango, Rosine und noch ein paar Zitrusnoten. Zusätzlich noch Leder, Zartbitterschokolade und ein Hauch Vanille. Erstaunlich ist die Einbindung des hohen Alkoholgehalts, den ich erst tief im Glas finde. Die Nase ist extrem einladend.
Am Gaumen setzt sich diese Überraschung fort. Die hohe Alkoholstärke wirkt nahezu geschmeidig, fast cremig, wenn auch nur für den geübten Gaumen. Aromatisch bietet der Agricole ein spannendes Spiel aus fruchtiger Süße und wieder ausgeprägten, aber nicht zu dominanten, Noten von lackiertem Holz. Ein Aroma das nur bei langer tropischer Reifung entsteht. Die Früchte zeigen sich wieder durch Zitrusaromen und nun auch durch Aromen von in Sirup eingelegten Steinfrüchten (Aprikose,Pfirsisch). Auch die Lakritze und die Zartbitterschokolade aus der Nase finde ich wieder. Im Hintergrund habe ich das Gefühl noch einen Hauch von Veilchen auszumachen. Der Geschmack ist hochkonzentriert, aber perfekt balanciert.
Im ewig langen Abgang treten die Veilchenaromen stärker in Erscheinung. Dazu kommen Noten von Leder und Tabak, die Zitrusschalen bekommen noch einen Hauch Säure und bitteres Albedo hinzu. Zum Schluss noch Assoziationen von ätherischem Sandelholz. Wahnsinn!
-9.3 von 10.0-
Fazit
Der Charity tritt ein großes Erbe an, schließlich folgt er auf die vielbeachtete “The Sins” – Reihe. Das allein setzt die Erwartungen hoch. Erwartungen, die diese Abfüllung jedoch mühelos erfüllt. Der Agricole bringt einen bemerkenswert hohen Alkoholgehalt mit, der sich erstaunlicherweise kaum vordergründig bemerkbar macht. Stattdessen präsentiert er sich ausgewogen, dicht und erstaunlich zugänglich.
In der Aromatik zeigt er eine beeindruckende Tiefe: warme, reife Fruchtnoten verbinden sich mit einer klar ausgeprägten, aber stimmig eingebundenen Holznote, wie man sie bei einem Destillat dieses Alters erwarten darf, aber leider nicht immer findet. Nichts wirkt aufgesetzt, vielmehr entfaltet sich ein vielschichtiges, fast meditatives Gesamtbild.
Für mich ist dieser Agricole anspruchsvoll, fordernd im besten Sinne, jedoch nie überfordernd. Er verlangt Aufmerksamkeit und vor allem Zeit. Gibt man ihm diese im Glas, öffnet er sich Schicht für Schicht. Wer ihn zu schnell verkostet, läuft Gefahr, das volle Potenzial dieses außergewöhnlich edlen Tropfens zu verschenken.
Cheers!